Der Blick von unten

Kunstaneignung in der „Ästhetik des Widerstands“

Aus: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr. 107, September 2016

Im Editorial des Themenhefts der Zeitschrift „Das Argument“ zum 100. Geburtstag von Peter Weiss heißt es: „In der Ästhetik des Widerstands geht es um die Frage, wie Fremdbestimmung durch ‚Kulturarbeit’ aufzusprengen sei. Befreiung – dieses Wort gewinnt hier eine neue reiche Bedeutung, denn es geht nicht allein um ‚die Befreiung aus politischer Unterdrückung, sondern ebenso um die Befreiung von den kulturellen Hindernissen (…), die ganze Lebensweise ist gemeint, alles worin man verfilzt ist, worin man lebt‘. ‚Kulturarbeit‘ heißt dann auch Überwindung der Eingeschlossenheit in die Engstirnigkeit, die Trägheit, das Besserwissen. Daher die Bedeutung von Kunst und Literatur, die, wenn sie lebendig sind, ‚immer im Streit gegen etwas stehen‘, keine faule Identität aufkommen lassen, produktive Unruhe verbreiten.“1
Zitiert wird hier Peter Weiss selbst, der nicht, wie es mittlerweile im Kulturbetrieb wieder üblich ist, unter Kultur nur entweder die hohe Kunst oder die Populärkultur verstand, sondern etwas, was „die ganze Lebenshaltung“ meint. „Kultur ist, wie der ganze Mensch lebt und arbeitet“ – das war auch eine Formel, die seit den 1970er Jahren nicht nur in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit Verbreitung fand. Sie richtete sich gegen das elitäre Prinzip des L’art pour l’art und gegen eine bildungsbürgerliche Auffassung von „Kulturgütern“ als „ewigen Werten“, die angeblich nichts mit schnöden Interessen und dem Alltag der Menschen zu tun haben.

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Spirale der Gerechtigkeit

Agenda 1510 – Erhart Falckeners „Spirale der Gerechtigkeit”

Erinnerung an eine Kunstaktion

Aus: Z. Zeitschrift marxistische Erneuerung Nr. 56, Dezember 2003

In einer Zeit, in der der Generalsekretär der SPD den Begriff „soziale Gerechtigkeit“ aus dem Parteiprogramm streichen möchte, in der andere ihn in „Chancengerechtigkeit“ oder gar „Generationengerechtigkeit“ umtaufen wollen, ist es vielleicht von Interesse, an eine Kunstaktion im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 zu erinnern, die mit der Parole „Soziale Gerechtigkeit statt Freiheit der Reichen“ das eigentliche Problem auf den Punkt bringen wollte. Anlaß waren das 150jährige Jubiläum der gescheiterten bürgerlichen Revolution von 1848 und die bei den Gedenkfeiern, Artikeln und Ausstellungen dazu – wie sich herausstellte: mit Recht – vermuteten Verkürzungen und Einseitigkeiten. Es wurde nämlich oft verschwiegen oder nicht deutlich gemacht, daß es 1848 nicht nur um nationale Einheit und demokratische Freiheiten ging, sondern auch um die Frage, welche und wessen Freiheit verwirklicht werden sollte: Die Freiheit der Reichen, die Freiheit des Kapitals, die Freiheit des Marktes – oder die Freiheit von Armut und Not, die Freiheit der Besitzlosen, die das Recht auf ein menschenwürdiges Leben, auf Arbeit, Wohnung und Gesundheit einschließt. „Freiheit ist Gerechtigkeit!“ – so stand es im Aufruf zur Gründung eines Frankfurter Arbeitervereins vom 13. März 1848.

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Fenster oder Spiegel

Zur Kontroverse um „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von Rainer Werner Fassbinder

Aus: Reiner Diederich / Peter Menne (Hrsg.): Der Müll, die Stadt und der Skandal. Fassbinder und der Antisemitismus heute. Nomen Verlag, Frankfurt am Main 2015 (korrigierte Textfassung)

In den Debatten darüber, ob das Fassbinder-Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ von 1975 selbst antisemitisch sei oder antijüdischen Ressentiments – unreflektiert oder unbewusst – Vorschub leiste, ging es nicht nur um unterschiedliche Lesarten und Interpretationen des Stücks, sondern auch um unterschiedliche Erklärungsansätze für das Entstehen und die Funktion von Antisemitismus.

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Wider das betreute Sehen

Aus: Kulturpolitische Mitteilungen (Zeitschrift der Kulturpolitischen Gesellschaft) Nr. 138, III/2012

Wider das betreute Sehen

Die Kunst ist frei, heißt es. Aber ist es auch die Wahrnehmung von Kunst? Ist es das Sprechen über Kunst? Man sagt mit Recht, die Kunst liege im Auge des Betrachters. Aber wer kommt dabei ohne Brille aus? Und wenn er selbst keine besitzt – wer besorgt sie ihm dann? In welcher Absicht?

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